Kurzgeschichte: Gumpis Reise
Es war einer dieser Abende, an dem man nichts Besonderes erwartete, der aber doch mit einer Wendung ein Leben verändern sollte. Gumpi Holzfuß, eine kleine Echse, die in einem Dorf mitten im Sumpf lebte, bereitete das Abendessen zu. Da er gerne mit anderen teilte, ließ er die Nachbarn an seinen Kochkünsten teilhaben und den Duft der fauligen Sumpfwurzelsuppe durch die Fenster ziehen. Das Rezept, eines von denen, welches man auf Partys ehrfürchtig als Familienrezept anpries, wurde ihm von seiner Tante Louisa Knüppeldick überliefert. Die Dame trug den Spitznamen die Köchin, weil sie die einzige im Dorf war, die zumindest über eine ausgerissene Seite eines Kochbuchs verfügte.
Gumpi ging in Gedanken noch einmal die Anweisungen durch.
„Erst anschleifen, dann die Grundierung und nach dem trocken den Lack auftragen“.
Ein einfaches Rezept von einem wahren Meisterkoch.
Gumpi rührte in der Suppe, die in Sachen Zähigkeit einem Bottich mit Teer noch etwas beibringen konnte. Ein Poltern drang durch die Tür, die mit ihrem Rahmen als eins der tragenden Teile der Hütte galt. Mit einem lauten Krachen wurde sie aus ihren Angeln gehoben und klatschte auf den Boden des Wohnzimmers. Zusammen mit dem Verursacher.
„AAAHHH! AAHHHH! Du verdammte Kackstelze! Wie kann man nur so dämlich sein! Da steht Ziehen und nicht Drücken!“, schrie die magische Tür.
Eine zweite Echse lag auf der schimpfenden Pforte in Wohnzimmer. Ein alter Freund aus Kindheitstagen, Heuri Kieselklotz, war bekannt dafür, ungewöhnliche Wege zu gehen, die ihn vorbei an einer Lösung weiter weg vom Ziel führten. Ihn dumm zu nennen, wäre unfair gewesen, denn in ihm schlummerten verborgene Talente. Er hatte sie bisher nur nicht entdeckt. Oder entwickelt. Oder verlegt.
Heuri kletterte von der Tür herunter, die sich gerade warm schimpfte. An der Akademie lehrte man, Gäste wohlwollend zu Begrüßen und zu unterhalten. Mit dem üblichem Klientel war sie hier draußen sichtlich unterfordert. Daher trällerte sie Besuchern nur ein fröhliches „Hallo du Kackstelze“ entgegen, was durchaus angemessen war.
Der Gast Schaute verdutzt auf die am Boden liegende Tür. Sein Hirn lief auf Hochtouren, um die Situation einzuschätzen.
„Gumpi, du hast ja eine Kellerluke mitten im Wohnzimmer“, sagte er.
„ICH BIN DIE HAUSTÜR, DU KACKSTELZE. HÄNG MICH WIEDER IN MEINE ANGELN EIN!“, schrie die Tür.
Heuri strengte seinen Verstand an, um die Situation zu lösen. Nachdem dieser kein Ergebnis lieferte, stieg er über die Tür und stellte sich vor den Kessel, der gluckste und blubberte.
„Ist dass Sumpfwurzel-Suppe? Die duftet ja wunderbar faulig“.
Gumpi lächelte.
„Ja, wie meine Tante Louisa immer sagte:
Ist die Suppe gut gewürzt, der Koch ohnmächtig zu Boden stürzt.“
„Oder wenn er beim Kochen das Augenlicht verliert“, gluckste Heuri.
Die beiden Echsen saßen am Tisch und löffelten ihre Brühe. An das laufende Gezeter der am Boden liegenden Tür hatten sie sich schnell gewöhnt. Irgendwann war auch das größte Repertoire mal erschöpft.
„Du, Gumpi, ich wollte Dir noch etwas sagen“. Gumpi ließ den Metalllöffel in die Suppe sinken, der sich brodelnd in der Plörre auflöste. Er stand auf, stützte sich auf den Tisch und blickte Heuri mit großen Augen an.
„Ist etwa … Post für mich im Amt angekommen? Von der Akademie?“
Heuri nickte.
„Echt?“
„Ja“
„Wirklich?“
„Ja!“
„Ja???“
„Ja!“
„JA IHR KACKSTELZEN! NU HOL DEINE VERKACKTE POST SCHON AB“, pöbelte jemand dazwischen, der auf dem Wohnzimmerboden lag.
Gumpi träumte davon, sich einen Wunsch aus Kindheitstagen zu erfüllen. Seitdem ihm eine Biene seinen Zeh auf magische Weise auf die Größe einer Aubergine aufgeblasen hatte, war er vernarrt in Heiltränke und Tinkturen. In der lokalen Bücherei verschlag er jedes Buch zu dem Thema, das er finden konnte. Im alter eines jungen Erwachsenen hatte er endlich das Geld zusammen, sein Wissen zu vertiefen. In einem Fernlehrgang für Trankmischer.
Gumpi ließ Tür und Heuri in der Hütte zurück und eilte los. Seine kleinen Echsenbeine trappelten über die ausgelegten Holzplanken, die die Wege von dem umliegenden Matsch trennten. Nach der nächsten Biegung hinter einem großen Baum stieg er die Treppen zu seinem Ziel empor. Vor ihm thronte ein riesiger Pilz, dessen violette Farbe in der braunen Sumpflandschaft ähnlich hervorstach, wie ein Leuchtturm im Meer. Vor vielen Jahren wurde ein findiger Baumeister auf das Gewächs aufmerksam, höhlte ihn aus und errichtete das einzig Naheliegendste in seinem Inneren.
Das Postamt „Magnus Fungorium“.
Rauchschwaden strömten durch die geöffnete Tür hinaus. Gumpi tappte durch den Nebel, bis er am Schalter der Poststelle stand. Heute hatte Oberhauptpostmeister Lurchi Schwarzauge Dienst, der eifrig zum Takt der Musik wippte, die er über Kopfhörer von einem Grammophone vernahm. Gumpi bewunderte die Technik aus der Hauptstadt, die langsam auch hier im Sumpfdorf Einzug hielt. Dieser Schallplattenspieler musste ein ganz besonders tolles Exemplar sein, der ohne Platten auskam. Die Nadel kratzte über den leeren Teller, der sich im hohen Tempo drehte.
„Jo, ich höre gerade Power-Metal. Was willste?“, sagte Lurchi und zog an seiner Pfeife.
„Guten Tag Herr Postmeister. Ich würde gern wissen, ob für mich ein Brief angekommen ist“. Gumpi sprach sehr respektvoll, denn immerhin hatte er es hier mit einer gehobenen Autorität zu tun.
Der Postmeister blies eine Rauchwolke aus seiner Lunge und zog erneut an der Pfeife. Er schien angestrengt über die Anfragen nachzudenken. Lurchi litt schon seit einigen Jahren an einer merkwürdigen Krankheit, die ihn träge werden ließ. Tante Luisa hatte immer behauptet, dass das daran liegen würde, dass er Teile der Wände des Postamts in seinen Tabak stopft.
„Ja“, sagte er.
Dann passierte lange nichts. Sehr lange. Die beiden schauten sich an.
„Könnte ich den dann haben?“, fragte Gumpi erwartungsvoll.
„Ja“, sagte er.
Dann passierte lange nichts. Sehr lange.
„Dann bitte jetzt?“, frage Gumpi.
Lurchis Hirn zündete nun endlich die passenden Neuronen und gab seinen Muskeln einen Ruck. Er wühlte unter der Theke und legte einen Briefumschlag mit einem roten Wachssiegel auf den Tisch.
„Da“, sagte er eloquent und widmete sich wieder seiner Pfeife.
Gumpi riss den Umschlag auf und verschlang die Zeilen, die ihm geschrieben wurden.
Sehr geehrter Herr Holzfuß,
Vielen Dank für Ihre zwölfte Bewerbung für das Fernstudium zum Sachkundenachweis für Trankmischer mit IHK Zertifikat. Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass wir dieses Jahr einen kostenpflichtigen Studienplatz an unserer Fernakademie anbieten können. Das Studium erledigen sie bequem von ihrem Wohnzimmer aus. Bitte holen Sie dafür das für sie vorgesehene Starterset in der 4863km entfernten Hauptstadt persönlich ab.
Unendliche Freude stieg in Gumpi auf. Sein Ziel war zum Greifen nahe.